Wenn die Mauern fallen

Am Wochenende erlebte ich sehr bewegende Bilder, die sich hier in Brandenburg abspielten.

Über 1 Mio Menschen trafen sich, um den Mauerfall zu feiern. Sie kamen von überall her. Der Flughafen - den ich in kurzer Zeit, rund um den Mauerfall - mehrmals anfahren musste, drohte aus allen Nähten zu platzen.

Auf der einen Seite kamen die Besucher, auf der anderen Seite wurden sie erwartet.

Es war eine mitreißende, sehr emotionale Veranstaltung. Menschenmassen wälzten sich am Wochenende entlang der "Ballonmauer". Autofahrer kamen nicht mehr durch, da Fußgänger die Straßen belagerten. Rund um das Brandenburger Tor musste großflächig abgeriegelt werden. Man kam nur noch über die zweite oder gar dritte Querstraße wieder zurück zu der Ballonmeile. Der Potsdamer Platz war komplett gesperrt. Wer ihn kennt, hat vielleicht eine Idee, wieviele Menschen sich allein an diesem Ort getummelt haben.

Die Ballons hinterließen in meinem Kopf einen bleibenden Eindruck, wie auch die friedlichen und glücklichen Menschen auf den Straßen. Es wurde einfach gefeiert....

Es sollte ein Signal für die Welt werden und ich denke, dass das auch ein Stück weit gelungen ist. Es sollte ein Appell an die Menschen werden und ihnen die Erinnerung an die Mauer wiedergeben. Auch das ist den Veranstaltern gelungen, zumindest bei denjenigen Vorort.

In Zukunft kann man diese Orte mit ihren Dauerausstellungen das ganze Jahr besuchen, wobei es hierzu auch unterdessen eine eigene App gibt.

Jeder, der sich in seiner eigenen Unzufriedenheit sult und diese zelebriert, sollte sich eine Sekunde lang überlegen, wie das wäre, wenn er hinter Mauern leben müsste. Tag ein Tag aus beobachtet von einer Diktatur, dessen Nachhaltigkeit darin bestand, seine Bürger einzusperren, sie zu gängeln, wenn sie weg wollten, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, um sie zu zermürben.

Hier in Brandenburg haben Menschen das Eingesperrt sein erleben dürfen. Das galt nicht nur für die Menschen im Osten. Es galt auch für die Westberliner.

Vielleicht und auch darum sind die Menschen hier so friedvoll und freundlich. Wenn ihnen etwas nicht passt, dann äußern sie das, schaffen es aber auch, mit ihrem Thema bei sich zu bleiben. Diesen großen erstaunlichen Effekt, spürt man sofort. Ich möchte das mal an einem Beispiel erklären, welches wir am Samstag erlebt haben:

"Carmina Burana"

Diese theatralische Chormusik, ist mit Sicherheit den meisten bekannt, oder auch begegnet. Hierzu gab es am Samstag einen vollbesetzten Berliner Dom.

Jung und Alt trafen sich zum Auftakt des Mauerfalls in dieser riesenhaften Kirche, um der Musik zu lauschen. Selbstverständlich gab es eine Ansprache und selbstverständlich wurde über die Bedeutung der Kirche seit seiner Entstehung philosophiert. Der Haken an der Geschichte war, dass es keiner verstand. Das Mikrophon funktionierte nicht.

Ein Mann vor uns, fing plötzlich an zu klatschen. Alle verstanden den Hinweis und fingen auch an zu klatschen. Immer wieder kamen die Klatschlaute aus irgendeiner anderen Ecke und immer wieder wurde gerufen:"Wir verstehen nichts!"

Die Berliner hatten richtig Spaß, keiner war irgendwie verärgert. Irgendwann verstand wohl einer von den Technikern, was los war und schaltete auf "LAUT". Sofort kam der Ausruf:"Aber nicht wieder von Vorne!", großes Gelächter. Es war faszinierend, wie das Publikum dem Sprecher ihr Bedürfnis signalisierten und sich über diese Diszanzen den Ball zu warfen.

Ja, das Publikum hatte keine Schuld und auch der Sprecher hatte keine Schuld, dass sie nichts verstanden hatten, wollten jetzt aber auch nicht alles noch einmal von Vorne hören.

Der Sprecher verstand und setzte ohne Punkt und Komma einfach seine Rede fort. Das Publikum war sofort ruhig und lehnte sich zufrieden zurück.

Die Musik kam dann wie eine Zunamiwelle über sie und das Publikum sparte am Schluss auch nicht mit Applaus.

Alle verließen den Berliner Dom mit einem breiten Grinsen und Strahlen in den Augen.

Dieses Grinsen und Strahlen begegnet einem hier öfters auf der Straße, mit freundlichen Worten wird hier nicht gespart. Alles wird mit einem Augenzwinkern be-urteilt. Verurteilen tut hier keiner den anderen.

Die Menschen hier sind offen. Sie haben es geschafft, sich von den Mauern nicht nur um sich herum, sondern auch in ihren Köpfen, zu befreien.

Das macht das Leben hier in Berlin und Brandenburg so erfrischend unkompliziert.

Mir war es jetzt einfach ein Bedürfnis von Mauern zu schreiben.

Vielleicht wird der eine oder andere über seinen eigenen "Sack Zement" nachdenken, den er vor der Haustüre liegen hat.


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